Runter schalten und genießen
Peter ist unzufrieden. Sie sind einfach zu weich. Das Einkornmehl ist doch nicht ideal für original Waldviertler Mohnnudeln. Also zurück an den Start! Gequetschte Erdäpfel diesmal mit griffigem Weizenmehl mischen und loswuzeln. Immerhin freuen sich die anderen ja schon auf die süße Verführung. Peter ist Mitglied bei Slow Food Waldviertel, einer jener „Convivien“ genannten Ortsgruppen der internationalen Slow- Food-Bewegung, die seit 1986 Genuss im Alltag schätzen und kultivieren, die sich aber auch dem Erhalt, der Herstellung und der Vermarktung regionaler Lebensmittel verschrieben haben. Zur „Arbeit“ dieser Convivien gehört auch etwas, von dem jeder sehr oft redet und es doch nur sehr selten tut – sich mit Freunden zum geselligen Essen zusammenzusetzen, um Abende zu genießen, auf die sich jeder in der Gruppe schon Wochen zuvor freut. Schritt für Schritt zum guten Mahl. Auf die Vorbereitung dieser Abende freut sich Helmut Hundlinger, Obmann von Slow Food Waldviertel, mindestens genauso wie auf das Zusammentreffen selbst. Denn das Einkaufen direkt bei den Erzeugern und das liebevolle Zubereiten lokaler Spezialitäten sind für ihn eine Quelle der Freude und der Inspiration. Was ja ganz im Sinne der vom Food-Aktivisten Carlo Petrini in der norditalienischen Kleinstadt Bra gegründeten Slow- Food-Bewegung ist. Helmut Hundlinger: „Slow Food tritt für gutes Essen, kulinarischen Genuss und ein moderates Lebenstempo ein. Slow Food engagiert sich für den Schutz traditioneller und nachhaltiger Qualitätslebensmittel, für den Erhalt von lokalen Anbau- und Verarbeitungsmethoden und die Wahrung der biologischen Vielfalt von Kultur- und Wildpflanzen.“ Hundlinger veranstaltet mit seinem Convivium daher auch alle 14 Tage den „Markt der Erde“ in Horn, bei dem lokale Spezialitäten direkt von den Erzeugern angeboten werden. Im Winter pausiert der „Markt der Erde“, daher wird die Einkaufstour für das Slow-Food-Fest zu einer Rundreise zu den kulinarischen Fixsternen am Waldviertler Genusshimmel.
Geschmackserziehung beginnt beim Kochen
Slow Food betrachtet Geschmack als eine aufschlussreiche Erfahrung, die das Bewusstsein schärft. Daher geht man bei der Geschmackserziehung neue Wege. Und die beginnen schon in der Küche, da Kochen auch ein gemeinsames Erlebnis ist. Helmut wird in der Küche von seiner Frau Veronika und seinen Freunden unterstützt.
Unverzichtbar für ein gelungenes Slow-Food-Abendessen ist der Prozess der Herstellung, vom Erdäpfelschälen bis zur Zubereitung der Marinade für die geräucherte Lachsforelle, vom Schneiden des Krauts bis zum sorgfältigen Würzen des Schweinsbratens und dessen langsamen, stundenlangen Braten im Rohr. Hundlinger: „Wer jeden Schritt der Veränderung miterleben kann, wer die Gerüche und die optischen Eindrücke vom Kochen zum Tisch mitnimmt, erlebt das Essen viel intensiver als jemand, der sich von anonymen Kellnern im Restaurant Convenience- Küche servieren lässt, die vor dem Servieren noch schnell in der Mikrowelle aufgeheizt wurde.“ Zum Gesamterlebnis gehören dann auch noch das sorgfältige Decken des Tischs, die gemeinsame Auswahl von zum Essen passenden Weinen aus den Waldviertler Regionen Kamp- und Kremstal und vom benachbarten Wagram.
Die zehn Gäste von Helmut, alles Freunde aus der Slow- Food-Bewegung und teilweise selbst Produzenten, lassen sich am Abend auch viele Stunden Zeit, um einen Gang runterzuschalten und zu genießen. Peter ist doch noch glücklich. Die zweite Runde der Mohnnudeln wurde genau so, wie sie sein sollen, etwas kernig, mit typischem Erdäpfelgeschmack. Und damit alle am Tisch auch wirklich wunschlos zufrieden sind, schwenkt er sie in karamelisiertem Zucker und angeröstetem Mohn. Das wäre den Gästen wohl auch ohne diesen krönenden kulinarischen Abschluss gelungen, haben sie doch neben einem ausgezeichneten Essen und guten Gesprächen etwas sehr Wichtiges zurückbekommen – Zeit, über deren Verwendung sie ganz bewusst und ohne Einflüsse von außen verfügen können. Helmut Hundlinger zitiert an solchen Abenden gerne das Slow-Food-Manifest von Gründungsmitglied Falco Portinari: „Es geht darum, das Geruhsame, Sinnliche gegen die universelle Bedrohung durch das ,Fast-Life‘ zu verteidigen. Gegen diejenigen, und sie sind noch die schweigende Mehrheit, die die Effizienz mit Hektik verwechseln, setzen wir den Bazillus des Genusses und der Gemütlichkeit, welcher sich in einer geruhsamen und ausgedehnten Lebensfreude manifestiert.“ Tragen Sie doch am kommenden Wochenende dazu bei, dass die schweigende Mehrheit der Hektiker etwas kleiner wird, und infizieren Sie Ihre Freunde mit dem Bazillus des Genusses.
Die Genuss-Tour
So eine Reise zu den Sternen braucht ihre Zeit, daher startet Helmut schon am frühen Vormittag in Horn. Zur ersten Station sind es knapp 20 Kilometer. „Bio Troad“ im kleinen Ort Vitis ist die vielleicht beste Bäckerei Österreichs, auf alle Fälle aber die beste im Bezirk Horn. Hier bäckt Fritz Potocnik, Mastermind der bekannten Wiener Bäckerei „Joseph Brot“, seine einmaligen Spezialitäten. Dabei setzt er auch ganz stark auf alte Getreidesorten, etwa das Waldstaudenkorn – eine Urform des Roggens –, und viel Handarbeit. Bis zu 72 Stunden dürfen manche seiner Brotteige rasten, bevor sie in den Backofen kommen. Das schmeckt man dann auch, und zwar lange. Denn Potocniks Brot bleibt dank eigener Backmischungen und sorgfältiger Verarbeitung tagelang frisch.
Der nächste Zwischenstopp ist bei einem unscheinbaren Einfamilienhaus in Dietmannsdorf. Hier betreibt Martin Allram die wohl einzige „Garagen-Mühle“ Österreichs. In der Garage stehen statt Pkw drei Zentrophan-Mühlen, mit denen er vor allem Urgetreidesorten wie Emmer, Dinkel, Einkorn oder Waldstaude vom eigenen Demeterhof besonders schonend mahlt. Martin Allram: „Da das Korn dabei nicht so heiß wie in normalen Mühlen wird, bleiben viele Öle und Geschmacksstoffe erhalten. Das schmeckt man dann beim Backen.“
Weiter führt die Einkaufsfahrt zu den Fischteichen von Helmuts Bruder Robert in Rosenburg am Kamp. Hier wachsen Regenbogenforellen im klaren Wasser bis zu stolzen 3,5 Kilogramm heran. Die Filets lassen die Brüder bei Thomas Muschl in Großreinprechts kalt und warm räuchern. Die „Graved Forelle“, also das milde Beizen der rohen Stücke, macht Helmut selbst: „Da werden die Forellenfilets geschröpft, mit einer Salz-Zitronen-Kräuter-Marinade in Folie eingelegt und reifen sechs Tage lang.“ Ergänzt wird die fischige Vorspeise noch durch Karpfenfilets aus den Teichen der Fürstenberg’schen Gutsverwaltung in Heidenreichstein.
Vorletzte Station ist bei Maria und Josef Rupp in Grafenberg bei Eggenburg. Hier wachsen jene Schweine und Rinder heran, die bei Helmut bevorzugt am Herd oder auf dem Grill landen. Denn bei den Rupps haben sie Zeit zu wachsen. Die Schweine werden erst mit 110 bis 120 Kilogramm geschlachtet. Die Kalbinnen haben sechs bis acht Monate Zeit, Gewicht zuzulegen. Gemästet wird vorwiegend mit Luzernen und Rapsschrot, nur die Schweine bekommen auch Soja zugemischt. Raps und Zeit sind die Basis der herausragenden Fleischqualität der Rupp’-schen Tiere. Hundlinger: „Durch das langsame Wachstum und das Vermeiden von Mais hat das Fleisch einen höheren Fettanteil und eine kernigere Struktur – und damit viel mehr Geschmack.“ Der Schweinebraten soll der Höhepunkt der Freundesfeier am Abend werden. Ein großes Stück Schopfbraten und ein durchzogenes Bauchfleisch wandern in den Einkaufskorb. Begleitet werden beide am Abend von Waldviertler Erdäpfelknödeln und warmem Krautsalat. Erdäpfel und Kraut besorgt Hundlinger im „Bauerngschäftl“, einem Bauernladen in Horn, zu dessen Stammgästen er zählt. Hundlinger: „Das Wissen über die Herkunft der Produkte und die Sorgfalt bei ihrer Produktion erhöhen die Freude auf kommende Genüsse zusätzlich.“ Dass dabei auch die lokalen Hersteller gestärkt werden, ist eine positive – und gewünschte – Begleiterscheinung.
Info
Slow-Food Waldviertel
Jeden zweiten Samstag im Monat veranstaltet das Convivium am Hauptplatz in der Horner Innenstadt den „Markt des Lebens“, wo zahlreiche regionale Lebensmittelproduzenten ihre Produkte verkaufen. Ganzjährig Genussveranstaltungen.
Bio Troad Bäckerei
Friedrich Potocnik bäckt in Vitis Brot nach traditionellen Rezepten und mit alten Getreidesorten.
Martin Allram
Beim Demeterbauern in Dietmannsdorf gibt es Getreide, Mehl, Einkornreis, Sauerteigbrot und Mohnzelten.
Brauschneider Bier
Feines Craft-Bier aus dem Waldviertel, eröffnet demnächst einen Braustandort in Schiltern.
Fischzucht Bründl-Mühle
Thomas Muschl betreibt eine der führenden Teichwirtschaften im Waldviertel.
Fleisch Rupp
Maria und Josef Rupp sind mit ihren Fleischprodukten regelmäßig auf den Wochenmärkten in Tulln und Eggenburg und am Slow-Food-Markt in Horn.