Leben

Mit Brief und Siegel

Wann haben Sie zuletzt einen Brief geschrieben? Kein E-Mail, keine SMS-Nachricht, nein – einen Brief auf Papier. Womöglich sogar mit der Hand?
Text: Jakob Ehrhardt

Einen Brief zu bekommen, einen persönlichen Brief, das ist heutzutage bereits eine Überraschung. Ihn herauszufischen aus der Flut an Werbung, Rechnungen, Massensendungen … ihn in Ruhe zu lesen, Gedanken von einem lieben Menschen empfangen, das kann viel bewirken. Viel Freude machen.

  • Es muss ja nicht gleich die gute alte Sütterlin sein – ein persönlicher Brief, von Hand mit der Füllfeder geschrieben, verfehlt nie seine Wirkung

Ein Brief bedeutet…

Da hat sich jemand Zeit genommen für mich. Und der Brief hat sich Zeit genommen. Hat eine Reise gemacht vom Absender zu mir, ist befördert worden. Keine virtuelle Existenz, die von Server zu Server flutscht in Sekundenbruchteilen, sondern Post zum Anfassen. Papier mit Griff. Das Kuvert muss geöffnet werden, Spannung kommt auf …
Die Freude, einen Brief zu schreiben: Pure Vorfreude, sich dabei den Empfänger, die Empfängerin vorzustellen. Sorgsam gewählte Worte, nicht zu wenig, nicht zu viel … allein das Bewusstsein um die Gefühle, die ein solcher Brief bewegen kann, beflügelt Geist und Kreativität.

Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung – das spezielle Briefpapier

Was einen besonderen Brief wirklich adelt, ist das Papier, auf dem er geschrieben wird. Hartpost, aus der Lade des Laserdruckers gefischt, vermittelt Beliebigkeit. Immer noch gibt es in guten Geschäften Briefpapier und Kuverts für individuelle Post – und damit ist jetzt nicht der Aufdruck irgendwelcher Kitschmotive auf Industriepapier gemeint. Das wäre Teenager-Stil. Erwachsene Menschen mit Stil greifen zur schlichten, noblen Qualität. Minimum: Halbleinen. Oder gleich Büttenpapier. Mit gerissenem Rand. Mit Wasserzeichen. Mit seidengefütterten Kuverts. Ein Tropfen Siegellack mag manchen bereits übertrieben erscheinen; Beachtung findet er allemal.

Die Vorfreude, einen unverwechselbaren, einmaligen Brief zu schreiben, lässt sich weiter steigern. Es kostet Zeit, das geeignete Papier auszuwählen. Es findet sich vielleicht nicht in der nächstbesten Papierhandlung, und Freunde der individuellen Korrespondenz legen sich einen Vorrat an, wenn sie einmal eine Quelle für außergewöhnliches Papier gefunden haben.

Papier aus der Manufaktur: einzigartig

Es gibt in Österreich noch kleine Papiermühlen, die besondere Qualitäten für besondere Zwecke produzieren. Für Künstler und Kunstdrucke, für höchstwertige, individuelle Buchprojekte – oder eben als Briefpapier für Menschen mit erlesenem Geschmack. Dort einen Besuch abzustatten, aus der Fülle des Angebots das Passende zu wählen, kann zum Erlebnis werden.

Nebenbei – edles Briefpapier muss nicht unbedingt beschrieben werden, es lässt sich auch verschenken. Die Hersteller schöner Papiere führen oft liebevoll ausgestattete Kassetten, Briefsets mit Kuvert und wertvollem Schreibgerät … eine nette Aufforderung zum „Schreib mal wieder!“ Vorfreude aufs Schenken, Vorfreude auf die Briefe, die da kommen mögen …

Wirklich exquisit wird es, auf Papier aus eigener Fertigung zu schreiben. Einige kleine Papiermühlen bieten Workshops zur Papierherstellung an, bei denen der individuelle Briefbogen Wirklichkeit wird. Es ist auch keine Utopie, das eigene Wasserzeichen einzuarbeiten – oder das Monogramm des Adressaten, der Empfängerin.

Unser Autor Jakob Erhardt hat einem echten Papiermüller auf die Finger geschaut und gelernt, wie handgeschöpftes Büttenpapier entsteht. Mehr dazu in der neuen VORFREUDE.

 

Die Wiege des Papiers stand in China, wo es für viele Zwecke verwendet wurde; nicht nur zum Schreiben.
Schreib mal wieder!
  • Die Wiege des Papiers stand in China, wo es für viele Zwecke verwendet wurde; nicht nur zum Schreiben.
  • Papierherstellung als Kunstgewerbe – Margarethe Mörzinger appliziert Blüten und Pflanzenteile auf dem frisch gegautschten Papier und befestigt das Arrangement mit gezielt aufgebrachtem Ganzstoff. Danach kommen die Blätter in die Presse und zum Trocknen.
  • Aller Anfang ist schwer … manchmal hilft es, den Brief zuerst am Computer zu konzipieren und dann auf das wertvolle Briefpapier zu übertragen
  • Es muss ja nicht gleich die gute alte Sütterlin sein – ein persönlicher Brief, von Hand mit der Füllfeder geschrieben, verfehlt nie seine Wirkung