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Mit 70 im Hörsaal?

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. „Da irrt sich der Volksmund!“, sagt Johannes und setzt sich in den Hörsaal. „Lebenslang lernen!“ ist für immer mehr Österreicher mehr als nur ein Schlagwort.
Jakob Ehrhardt
  • Studieren als wertvolle Freizeitgestaltung jenseits der Pensionsgrenze.

Universitäten haben die Menschen in Pension als durchaus interessante Zielgruppe entdeckt. Die Uni Wien bietet zum Beispiel ein nachberufliches „Studium Generale“ an, das in drei Varianten absolviert werden kann. Entweder man besucht einzelne Module aus den zwölf Fachbereichen, absolviert das gesamte „Studium Generale“ mit vier bis sechs Semestern oder schließt zusätzlich drei Semester Master-Studium an.
Weil es ein Lehrgang und kein reguläres Uni-Studium ist, muss für das „Studium Generale“ bezahlt werden. Ein Kursmodul mit der Dauer eines Semesters kostet 420,- Euro, alle zwölf Module und der Abschluss als „Akademischer Absolvent“ schlagen mit 4800,- Euro zu Buche. Wer einen Masterabschluss anstrebt, muss weitere 1200,- Euro drauflegen. Zu berücksichtigen ist: Studiert wird vorwiegend in Kleingruppen, ohne den Jungen Studien-plätze wegzunehmen.

Wissenschaftliche Bildung als Universitas

Der Fächerkanon schlägt einen weiten Bogen: Die Module umfassen Theologie, Soziologie, Geografie, Politikwissenschaften, Chemie, Kommunikation, Informatik, Molekularbiologie, Jus und Philosophie. Ziel sei es, „sich mit Grundlagenwissen und Forschungsperspektiven mit Bezug auf gegenwärtige gesellschaftliche Herausforderungen zu befassen“, so die Uni Wien in einer Aussendung.
Für die Teilnahme an einzelnen Kursmodulen wird keine Matura verlangt, für das „Studium Generale“ müssen die Teilnehmer hingegen über Matura oder Studienberechtigungsprüfung verfügen.
Norbert Gratzl, nach eigenen Angaben „heuer im Jänner schlanke 70 geworden“, war sofort begeistert, als er von dem An-gebot erfuhr. „Ja, das Generale ist wirklich Brainwork! Meine Erwartungen wurden bei Weitem übertroffen, ich habe keine Minute einer Vorlesung oder Übung versäumt. Und ich bereue keine Minute“, schreibt er in seinem Blog. „Wenn ich jemandem raten sollte, ob teilnehmen oder nicht, wäre meine Antwort ein klares Ja; allerdings unter der Voraussetzung einer robusten Gesundheit, viel Zeit dafür aufzubringen, sehr neugierig auf Wissen zu sein und ein gewisses Maß sozialen Ver-haltens mitzubringen.“ Derzeit schreibt er an seiner Masterthesis zum Thema „Lifelong Learning – Menschenrecht auf Bildung“.
Ursula Ertl, die im Sommersemester 2019 startete, hat sich, so ihr Wordrap auf der Website der Uni Wien, „den Kindheitstraum erfüllt, endlich Universalgelehrte zu werden.“ Und sie staunt darüber, dass sich „in meinem Hirn Areale mit jenem Schulwissen wieder aufgetan haben, von dem ich dachte, ich hätte es längst vergessen.“

Mehr lesen Sie in der neuen VORFREUDE.

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