Millionen erreichen, Millionen scheffeln
Als kritische Grenze wird von Medienbeobachtern eine Million „Follower“ definiert. Wer das erreicht, hat’s geschafft. Und immerhin sind es inzwischen über 2000 „Youtuber“, die nicht nur für, sondern auch von ihrer On-line-Präsenz leben – manche sogar sehr gut. Und praktisch alle berichten vom mühsamen Weg dorthin.
Oft beginnt es mit einem Hobby. Man stellt ein paar Videoclips, mit dem Smartphone bei Schönwetter gebastelt, in die Kanäle, die sich dafür anbieten, und hofft auf spektakuläres Echo. Das in der Regel ausbleibt. Oder sich auf anerkennendes Schulterklopfen von Freundeskreis und Familie beschränkt.
Was letztlich den Sprung vom Hobby ins anspruchsvollere Produzieren aus-macht, ist nicht über einen Leisten zu schlagen. Auf jeden Fall gehören eine so-lide ausgeprägte Hartnäckigkeit und ein überdurchschnittliches Durchhaltevermögen dazu. Gerade am Beginn der On-line-Karriere stehen Aufwand und Ertrag in krassem Missverhältnis, oft über Jahre.
Du darfst nicht langweilen
Jeder erfolgreiche Online-Kanal hat ein klares, inhaltliches Profil. Ein Thema. In seltenen Fällen genügt es, wenn der – mehr oder weniger – Star oder das Starlet selbst der Aufhänger sein will; ein paar Selfies genügen selten, um sich im welt-weiten Gewebe einen Namen zu machen. Damit Menschen einen Kanal abonnieren, gerne wiederkommen und dadurch zum Follower werden, muss ein entsprechend reizvoller Nutzen geboten werden. Viele sind Experten im Bereiche eines bestimmten Hobbys oder in Segmenten ihres Alltags und machen das zu ihrem Thema. Kochtipps, gekonntes Schminken, der Aufbau einer Modelleisenbahn, Fotografie-Tutorials, wichtig ist vor allem, dass der Konsument solcher Clips, Reels, Filmchen und dergleichen einen Nutzen hat. Der ihn dafür belohnt, Zeit und Aufmerksamkeit zu spendieren.
Die Grundregel lautet: Du darfst deine Follower nicht langweilen. Die konkrete Umsetzung dieser Maxime wird auf eigene Weise erfolgen müssen, je nachdem, ob es um Teenager Fashion geht oder um detaillierte Tipps in einer exotischen Programmiersprache.
Die erfolgreichste thematische Nische ist das Gaming. Computerspiele sind ein eigener Industriebereich geworden, ein Umfeld, in dem computeraffine Fans ihre Spielwiesen finden, um in diesem gigantischen Markt mitzunaschen. Nichtspieler werden dem mit Unverständnis begegnen und dafür vielleicht ein offenes Auge und Ohr für Lifehacks haben, die kleinen Tricks und Kniffe für den Alltag. Erstaunlicherweise nicht umzubringen sind Unboxing-Videos – kein Kampfsport, sondern das seltsame Vergnügen, anderen Menschen beim Auspacken eines Neuerwerbs zuzuschauen. Sozusagen Teilhabe am Besitzerstolz auf Distanz. How-to-Videos sind immer gern gesehen, zumindest von denen, die genau dieses Problem haben, für das eine Lösung angeboten wird. Und permanent auf den Spitzenplätzen der Klickparaden: junge Tiere. Kätzchen, Hundewelpen, Küken. alles, was man gern knuddeln möchte. Junge Fische sind eher nicht dabei.
Die konsequente thematische Ausrichtung entscheidet darüber, ob der Geschmack für eine Million Clicks getroffen wird und „das Ding“ viral geht oder ob die Nische einer wohlmeinenden Klein-gruppe abgedeckt wird. In beiden Fällen müssen Bedürfnisse erkannt und bedient werden, und nichts geht schneller, als ein Channel-Abo vom Schirm zu wischen. Themen und Fangemeinde stehen also in enger Wechselwirkung, und die Versuchung ist groß, zum Seelenverkäufer zu werden. Was sich nicht nur hinsichtlich der eigenen Psyche rächt, sondern auch am Eindruck von Authentizität kratzt.
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