Leben nach Maß
Reine Handarbeit
In Harald Kammels Werkstatt scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Blickt man aus dem Fenster des kleinen, liebevoll renovierten Biedermeierhauses in der Kahlenbergerstraße im 19. Wiener Bezirk, meint man, jederzeit Beethoven vorbeispazieren zu sehen. Der hat ja auch eine Zeit lang nur wenige Häuser weiter gewohnt. Zeitlos ist auch die Schusterwerkstätte eines der besten Maßschuhmacher Wiens.
An niedrigen Arbeitstischen entsteht hier alles von Hand. Vorgefertigte Industrieteile sucht man bei Harald Kammel vergebens. Und der Weg vom Leder zum fertigen Schuh ist noch immer wie zu Beethovens Zeiten. Kammel: „Zuerst vermessen wir den Fuß des Kunden und bearbeiten dementsprechend den Holzleisten.“ Dann folgt die Wahl des Oberleders und des Designs. Dabei ist der Variantenreichtum groß. Ob Oxford, Slatin Pascha (ein geflochtener Schuh), Kapuziner, Monk (Schuhe mit Schnallen), Budapester oder Schottisch gelocht, Kammel hat alles im Programm. Auch beim Leder gibt es keine Grenzen. Kammel: „Ich habe auch schon Straußen-, Krokodil- oder Elefantenleder verarbeitet.“ Der eigentliche Start der Schuhproduktion beginnt mit dem Zuschneiden der Brandsohle. „Auf die wird der komplette Schuh aufgebaut und vernäht“, erklärt Kammel. Das gibt es nur im reinen Handwerksbetrieb, denn in der Industrie wird vorwiegend geklebt. Das geht schneller und ist günstiger. Doch das Nähen ist auch der Grund, warum Maßschuhe viel, viel länger halten als Industrieschuhe. Der Faden, früher aus mit Pech verdrehtem Flachs oder Hanf, heute aus strapazierfähigem Kunststoff, ermöglicht die Verarbeitung wesentlich dickerer Sohlen als die industrielle Maschinenfertigung. Kammel: „Unsere Sohlen sind bis zu sieben Millimeter dick, ganz nach Wunsch des Trägers.“ Dann wird das Oberleder über den Leisten gedehnt und verklopft. Damit es geschmeidig wird, wird es bedampft. Da es vor jedem weiteren Arbeitsschritt trocknen muss, dauert die Verarbeitung. Immer wieder wird nachgedehnt und nachgebessert. Kammel: „Bei unserer Arbeit gibt es keine Schablone, da geht viel über Augenmaß. Das zeichnet dann auch den Stil jedes Handwerkers aus.“ Nach dem Vernähen erfolgen das Ausleisten, das Verkleben der Innensohle und das Finish. Kammel: „Dabei werden manche Schuhe bis zu zwei Stunden lang nur geputzt und poliert. Ganz zum Schluss wird der Schuh mit Hartwachs gegen Nässe versiegelt.“ Und hält so ein Maßschuh wirklich ein Leben lang? Kammel lächelt: „Um Schuhe ein Leben lang zu tragen, benötigt man mindestens sechs bis sieben Paar, denn man sollte jeden Schuh nur einmal binnen einer Woche tragen.“ Der Aufbau einer Maßschuhsammlung dauert daher einige Zeit und kostet auch einiges. Acht Wochen benötigt Kammel für die Herstellung eines Paares. Ab 1.500 Euro kommt man dann in den Genuss feinster Schuhkultur. Kammel: „Bei ausgefallenen Designs oder speziellen Lederwünschen kann es auch teurer werden.“
Der Maßanzug – die Oberklasse der Herrenbekleidung
Zum Maßhemd passt natürlich ein Maßanzug. Einer der besten in Deutschland kommt dabei von Eva Schönherr und ihrer Anzugmanufaktur „Der schöne Herr“ aus Fulda in Hessen. 17 Jahre hat sie in der Klosterschneiderei Frauenberg in Fulda gearbeitet, bevor sie 2014 in der Domstadt ihren Salon eröffnet hat. Ihre Philosophie erklärt Schönherr so: „Jeder Maßanzug ist ein perfektes Unikat, welches die Persönlichkeit und den Stil des Trägers unterstreicht.“
Dementsprechend „psychologisch“ geht sie auch bei der Herstellung vor. In einem langen Erstgespräch mit dem Kunden nimmt sie Maß und wählt mit dem künftigen „schönen Herrn“ Modell und Stoff ganz nach dessen individuellen Wünschen aus. Dann wird das Schnittmuster per Hand erstellt, der Stoff zugeschnitten und eine erste Anprobe vereinbart. Schönherr: „Die erste Anprobe ist die wichtigste Phase, denn hier wird der Grundstock für ein gut passendes Kleidungsstück gelegt. Form, Weite und Balance werden dabei überprüft.“ In einer zweiten Anprobe mit Futter und Taschen werden letzte Feinheiten angepasst und der Ärmelstand überprüft. Nach sechs Wochen oder rund 100 Arbeitsstunden ist der Maßanzug dann fertig.
Der Preis wird pro Stück individuell festgelegt, schwankt er doch stark durch die Wahl des Stoffes und die Extrawünsche seines Trägers. Die Haltbarkeit: fast ewig, je nach Tragedauer und Pflege. So wie bei fast allen Modestücken nach Maß. Denn die sind nie nur für eine Saison gemacht.
Weitere Infos zu
„Bei unserer Arbeit gibt es keine Schablone, da geht viel über Augenmaß. Das zeichnet dann auch den Stil jedes Handwerkers aus.“
Hemden mit dem perfekten Sitz
Persönlich Hand anzulegen ist auch für Nicolas Venturini eine Selbstverständlichkeit. Jeden Morgen fertigt er die Schnitte für die Maßhemden, die an diesem Tag von seinen Mitarbeitern in seinem Korneuburger Atelier handvernäht werden sollen, selbst an.
Seit 1912 existiert die Maßhemdenschneiderei Gino Venturini schon in der Wiener Spiegelgasse. Dort wird allerdings nur mehr Maß genommen und verkauft. Verarbeitet werden bei Venturini ausschließlich Hemdstoffe aus Vollzwirn, bei denen Längs- und Querfäden miteinander verzwirnt werden.
Das Ergebnis sind Hemden mit besonders dichten Stoffen, die handelsüblichen Hemden in Sachen Haltbarkeit und Formstabilität klar überlegen sind. Kragen- und Manschettenschnitte passt Venturini der jeweils aktuellen Mode an. Der Preis für ein ganz persönliches Oberhemd liegt je nach Stoffwahl zwischen 170 und 250 Euro.