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Lächelnd über dem Abgrund

Christian Grübl ist Österreichs erster Shugendo-Mönch. Zu den Riten der japanischen Yamabushi gehören unter anderem Meditationen in eisigen Wasserfällen und tagelange Bergwanderungen.
Sandra Wobrazek
  • Beim Tokudo, dem Ritual der Mönche, wurde der Niederösterreicher zum Yamabushi geweiht.
    Beim Tokudo, dem Ritual der Mönche, wurde der Niederösterreicher zum Yamabushi geweiht.

Als die japanische Reisegruppe vergangenen Winter durch den Wald bei Hinterbrühl, südwestlich von Wien gelegen, ging, war das Erstaunen der Frauen und Männer aus Asien groß. Dort, inmitten eines Flusses, stand unter einem Wasserfall und bei Minusgraden ein Mann in weißem Gewand und meditierte, während das kalte Nass permanent über seinen Kopf prasselte. Die Touristen blieben stehen, machten begeistert Fotos. Freilich: Für die Frauen und Männer aus dem Land der aufgehenden Sonne war es nicht so sehr erstaunlich, einen Mann in dieser durchaus ungewöhnlichen Situation zu sehen – sondern die Tatsache, dass es sich in Österreich und nicht in ihrer Heimat ereignete.

 

Mönch aus Österreich

Denn das, was Christian Grübl, der Mann aus dem Eiswasserfall, da tat, kennt man sonst nur aus Japan: eine Wasserfallmeditation. Dieses Ritual wird von Vertretern der über 1.000 Jahre alten Shugendo-Religion praktiziert und Grübl ist der erste österreichische Shugendo-Mönch, ein sogenannter Yamabushi. Die Anhänger der uralten Lehre praktizieren religiös-magische Rituale und asketische Praktiken, die helfen sollen, Schmerzen, Angst und physische Grenzen zu überwinden. „Die in den Bergen schlafen“ bedeutet Yamabushi ins Deutsche übersetzt – und tatsächlich spielen die Berge eine entscheidende Rolle in den Praktiken der gelehrten Männer. In ihren Mediationen werden alte Gottheiten visualisiert, Mantras aufgesagt und Gebete für andere Menschen gesprochen, die Hilfe und Beistand benötigen. Dafür kasteien sich die Mönche regelmäßig und bauen ihren Alltag rund um feste Regeln auf: Ihr Leben besteht aus strengen Ritualen, aus intensi- ven Gebeten und regelmäßiger Askese. Feuerläufe über glühende Kohlen gehören ebenso dazu wie tagelange Bergwanderungen unter extremsten Bedingungen.

Eine Welt, in die der Niederösterreicher Christian Grübl, von Beruf Schadensreferent bei einer Versicherung, seit vielen Jahren zumindest zeitweise eintaucht. „Ich habe“, so der 43-Jährige, „25 Jahre lang Karate gemacht und es auch lange Zeit unterrichtet. Dennoch war ich weiterhin auf der ständigen Suche nach etwas, auch wenn ich nicht wusste wonach – und bin dann irgendwann auf die Shugendo-Religion gestoßen. Ich habe diese Rituale und die ganzen Philosophie dahinter sehr spannend gefunden und wollte mehr wissen, also habe ich mich in das Thema eingelesen.“ Bei einem Seminar in Deutschland sah Grübl dann das Foto eines Yamabushi, der auf einem Berg, eingegraben in Eis und Schnee, meditierte – und wurde das eindringliche Bild nicht mehr los.

Christian Grübl recherchierte und entdeckte vor knapp zehn Jahren in den französischen Alpen einen Vertreter der japanischen Religion. Er kontaktierte den Mann, der antwortete und unterrichtete den Österreicher aus Tulln fortan – in der Philosophie der Mönche ebenso wie in Takigyo, der Wasserfallmeditation. Dann schließlich ging es nach Japan und Grübl lebte gemeinsam mit seinem Meister, einem Shugendo- Mönch, und dessen Familie zusammen. Der Neo-Mönch tauchte ganz in die fremde Kultur ein, nahm die Riten der Mönche an, lebte mit ihnen den Alltag, befasste sich mit den komplexen heiligen Schriften, studierte Hunderte Jahre alte Texte.

 

Mehr dazu lesen finden Sie in der aktuellen VORFREUDE.

 

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