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Geh bitte!

Jakob Ehrhardt

Wir Menschen sind schon eine Weile gehend unterwegs – die ältesten Funde, die aufrecht gehende Hominiden belegen, sind fünf Millionen Jahre alt. Wie es dazu kam, dass man sich auf eigene Beine stellte, darüber ist sich die Wissenschaft nicht einig. Es war jedenfalls praktisch in der Umgebung, in der unsere Vorvorfahren ihren Alltag fristen mussten. Und es war wie so viele gute Lösungen der Menschheit ein Kompromiss. Zahlreiche Vierbeiner sind erheblich schneller „zu Fuß“. Das Wasser – immerhin der weitaus größte Teil der Erdoberfläche – lässt uns gegenüber den Fischen alt aussehen. Und den freien Flug der Vögel betrachten wir seit Menschengedenken mit Sehnsucht.
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Alles in allem hat sich die menschliche Art der Fortbewegung bewährt. Das mag auch mit den Vorteilen zu tun haben, die Kulturphilosophen ausmachen, wenn sie die Emanzipation des Menschen vom Tierreich beschreiben: Der aufrechte Gang unterstütze, sich souverän umzuschauen und sein Urteil selbst zu bilden. Ob die These langfristig aufrechtzuerhalten ist, sei dahingestellt angesichts der Prognosen, dass möglicherweise Erscheinungsformen von Leben, die uns primitiv erscheinen, dank Schwarmintelligenz die Menschheit überleben könnten: sechsbeinige Krabbler, Virenpopulationen & Co.

Das führt an dieser Stelle jedoch zu weit. Bleiben wir bei überschaubaren Distanzen, wie sie für unsere Gehwerkzeuge gut zu bewältigen sind. Gehen wir in uns, bevor wir von A nach B gehen.

Abspecken? Nur eine erfreuliche Nebenwirkung

Die Neurowissenschaftlerin Manuela Macedonia, die u.a. an der Johannes-Kepler-Universität Linz lehrt, sagt von sich: „Ich gehe nicht meiner Figur zuliebe, sondern für mein Gehirn!“ Und sie belegt es anhand jüngster Daten und Studien, die dem Gehen neuen Schwung verleihen.

Wir wissen es ohnedies seit Langem: Gehen tut gut. Die wohldosierte Bewegung, in der unser Organismus auf Touren kommt und das leistet, wofür er sich über die Jahrmillionen entwickelt hat, bringt uns nicht nur effizient von A nach B, sondern auch Vitalität bis in die letzte Zelle. Wenn bei keuchender Anstrengung die biochemischen Prozesse an unsere Substanz gehen, je nach Trainingszustand früher oder später, baut uns die wohltuende aerobe Bewegung auf.

Dass regelmäßiges Gehen auch dem Gehirn guttut, ist zwar nicht neu, aber erst seit den großen Fortschritten belegbar, die die Neurowissenschaften mit ihren Gehirnscannern aufzeigen. In ihrem Buch „Beweg dich! Und dein Gehirn sagt danke!“ beschreibt Manuela Macedonia, „wie wir schlauer werden, besser denken und uns vor Demenz schützen“, so der Untertitel ihres Buches. Klingt wie die fragwürdigen Anpreisungen des sprichwörtlichen „billigen Jakobs“ auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten, liest sich allerdings als Zusammenfassung jüngster Ergebnisse der Neurowissenschaften anregend und motivierend.

Gehen geht überall und mit jedem Outfit.

Gehen belebt unsere „kleinen grauen Zellen“

Die Bilder aus dem Scanner zeigen, wie gewinnbringend sich regelmäßige, ausreichende Bewegung auf die komplexen Wechselwirkungen unseres Gehirns auswirkt. Durchblutung und Stoffwechsel der Hirnmasse werden durch den Trainingsreiz angekurbelt, die täglichen Schritte zwischen A und B bekommen ein messbar positives Gewicht. Beispiel Seepferdchen – so benennen die Neurologen mit der lateinischen Meerestiere erinnert.

Gut zu wissen für Senioren: Regelmäßige Bewegung wirkt dem Abbau von Gehirnfunktionen entgegen.

Im Hippocampus finden sich sogenannte Platzzellen, die wesentliche Funktionen für unsere Orientierung im Raum erfüllen, das „Seepferdchen“ beherbergt das Kurzzeitgedächtnis als Zwischenspeicher, bis entschieden wird, was ins Archiv des Langzeitgedächtnisses einsortiert und was vergessen werden kann – und nicht zuletzt sorgt der Hippocampus für Reparaturen und Instandhaltungsarbeiten im Gehirn, so Dr. Macedonia. Neurogenese heißt dieser Prozess, der im Gyrus Dentatus, einem Teilbereich des Hippocampus, neue Zellen bildet, die als Stammzellen in jene Bereiche des Gehirns transportiert werden, wo sie gefragt sind. Macedonia: „Neue Ziegel für ein Haus, das in die Jahre gekommen ist.“ Auch wenn bestimmte Gehirnbereiche stärker beansprucht werden – etwa durch das Erlernen einer Fremdsprache –, erhält der Hippocampus die Signale, die zur Produktion neuer Stammzellen anregen, die dann in die Sprachregionen hinauswandern und dort zu Neuronen bzw. Vokabeln werden.

 

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