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Die Macht der Wertschätzung

Hass. Seit einigen Jahren das leidige Thema im sozialen Miteinander, in den „Social Media“. Was tun? Hinnehmen als Zeiterscheinung? Das Gegenmittel, das der Psychiater und Gerichtsgutachter Reinhard Haller empfiehlt, klingt auf den ersten Blick liebenswert naiv: Wertschätzung.
Jakob Ehrhardt
Wie wir heute miteinander umgehen, prägt die Welt von morgen.
Social Media haben ihren Anteil am Rückgang von Empathie und Wertschätzung.
Welche Wertschätzung drückt unsere Körpersprache aus?

Das Buch, das Haller zu dem Thema veröffentlicht hat, heißt: „Das Wunder der Wertschätzung: Wie wir andere stark machen und dabei selbst stärker werden.“ Das klingt zumindest schon einmal anders als das Konzept, andere abzuwerten und rhetorisch niederzumachen, als Grundton von Kommunikation. In seiner Analyse macht Haller – grob zusammengefasst – einen merklichen Ver-lust an Empathie namhaft, begleitet von einer, wie er es nennt, „Demokratisierung, das heißt Etablierung einer narzisstischen Haltung in weiten Teilen der Gesellschaft“, die sich seit der digitalen Revolution um die Jahrtausendwende entwickelt habe. „Likes in noch so hoher Zahl können nie dieselbe emotionale Befriedigung hervorrufen wie ein warmes Lächeln oder ein von Herzen kommendes Lob.“ Empathie, so Haller, als „Fähigkeit, sich in andere einzufühlen, ihre Empfindungen und Gedanken zu erspüren sowie ihre Bedürfnisse und Motive nachzuvollziehen, unterscheidet den Menschen von anderen Geschöpfen und von Maschinen.“
Den Durchbruch digitaler Kommunikation macht auch die Psychologin Sara Konrath von der University of Michigan für den Rückgang der von ihr gemessenen Empathiewerte um 40 Prozent innerhalb von 30 Jahren verantwortlich, gemeinsam mit einem Ziel- und Wertewandel auf dem Boden des Wirtschaftsliberalismus.

Selbstwertgefühl als Basis von Wertschätzung

Für den Psychiater hat wertschätzende Kommunikation untrennbar mit der Ausbildung von Selbstwert zu tun: „Vielen ist nicht bewusst, dass nur Menschen mit gutem Selbstwert in der Lage sind, anderen Anerkennung und Respekt entgegenzubringen, und dass durch eine wertschätzende Haltung die eigene Sicherheit und damit der Selbstwert steigen.“
Der deutsche Aphoristiker Peter Henatsch bringt die Wechselwirkung auf den Punkt: „Wertschätzung erfahren und Wertschätzung entgegenbringen bedingen einander wie Aussaat und Ernte.“ Die Stabilisierung des Selbstwertgefühls, so die Experten, sei eine Aufgabe fürs Leben. „Entscheidend ist nicht nur, ob jemand einen hohen oder niederen Selbstwert hat, sondern auch, wie es um die Fähigkeiten und Möglichkeiten der Selbstregulierung bestellt ist.“ Die Defizite einer ausbalancierten Selbstwertregulierung beschreibt der Neuropsychiater Herwig Scholz – zitiert von Haller: „Er geht von der Beobachtung aus, dass leistungsbezogene, pflichtbewusste, hilfsbereite und freundliche Menschen häufiger an depressiven Erschöpfungszuständen, Angststörungen und psychosomatischen Leiden erkranken als andere. Ursächlich führt er dies auf einen permanenten, erfolglosen Kampf um Anerkennung, Wertschätzung und Liebe zurück.“ Der Mensch will aufmerksame Zuwendung. Er erlebt kaum etwas so kränkend wie fehlende Aufmerksamkeit oder Nichtbeachtung. Die Folgen können individuell wie auch gesellschaftlich und ökonomisch gravierend sein: „Burn-out & Co. – die verbrannte Wertschätzung!“, schreibt Haller.

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