Der Kampf um mein linkes Handgelenk
Es gibt diese seltenen Momente, in denen die Zeit still zu stehen scheint. Das passiert bei einem Kuss, auf einem Berggipfel oder am Strand mit dem unendlichen Ozean vor sich. Doch diese Augenblicke vergehen und meistens folgt danach der ganz banale Blick aufs linke Handgelenk. Dort befindet sich seit etwas mehr als 100 Jahren das eigentliche Steuerzentrum der Menschheit – die Armbanduhr. Ein Instrument, von dem wir nicht den Blick lassen können, obwohl uns, so der Dichter Winfried Georg Sebald, das „Vorrücken dieses, einem Richtschwert gleichenden Zeigers, wenn er das nächste Sechzigstel einer Stunde von der Zukunft abtrennt“, eigentlich verrückt macht. Doch die Zeit ist der Stoff, aus dem das Leben besteht. Das hat schon der amerikanische Erfinder und Staatsmann Benjamin Franklin geschrieben. Und er hat damit nicht das vergleichsweise geruhsame Vorüberziehen der Jahreszeiten gemeint, sondern den Takt der Zeiger auf dem Ziffernblatt. Das wurde allerdings zu Franklins Zeiten noch hinter dem wuchtigen, meist kunstvoll verzierten Deckel einer Taschenuhr verborgen. Damals konnte man also durchaus die Zeit in die Westentasche stecken und vergessen. Spätestens 1880 war Schluss mit dem eher lässigen Umgang mit der Zeit. Sie drängte sich unerbittlich in den Vordergrund, genauer gesagt auf unser linkes Handgelenk. Die Uhrenmanufaktur Girard-Perregaux produzierte die ersten Armbanduhren für die deutsche Kriegsmarine. Anfang des 20. Jahrhunderts ging die Zeit in die Luft. Der brasilianische Flugpionier Alberto Santos Dumont ließ sich vom Pariser Uhrmacher Louis Cartier eine Armbanduhr für Piloten bauen. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs war die Armbanduhr weltweit zum Standard geworden. Seither leben wir in einer Kultur, die nur mehr an das Messbare glaubt. Und die ständig unter Zeitnot zu stehen meint, weil uns das ja auch der ständige Blick auf das linke Handgelenk suggeriert. Dieser Seitensprung der Augen führt automatisch zu einem weiteren Phänomen der zeitgebundenen Gesellschaft, dem Stress. Zwar erklären wir uns Stress damit, dass wir einfach zu wenig Zeit hätten, aber in Wirklichkeit haben wir keine Zeit, weil wir gestresst sind. Die amerikanische Dichterin Joyce Carol Oates hat dieses Dilemma in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts perfekt zus ammengefasst. Sie schrieb: „Zeit ist das Element, in dem wir existieren. Wir werden entweder von ihr dahingetragen oder ertrinken in ihr.“ Um diese Zeit begannen viele Menschen auch damit, sich die Herrschaft über die Zeit wieder zurückzuholen. Die hatten sie nämlich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte Schritt für Schritt verloren. Zuerst erfand John Harwood fünf Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs die erste Automatikuhr. Seither muss man Uhren nicht mehr aufziehen. Sie laufen unerbittlich immer weiter, getrieben von unseren eigenen Bewegungen, unserer Geschäftigkeit. Anfang der 70er Jahre entwickelte Peter Petroff die erste Digitaluhr. Die wurde mit der 1967 erfundenen elektrischen Quarzuhr kombiniert. Jetzt hatte plötzlich jeder eine hochpräzise Uhr mit LCD-Anzeige am Handgelenk statt einer Uhr mit Zeigern und Ziffernblatt. Und die Uhren waren auf Tausendstelsekunden genau. Doch die gnadenlose Genauigkeit der Quarzuhren passt so wenig zu uns nicht ganz so präzise funktionierenden Menschen. Mitte der 80er Jahre kam es zu einem Comeback der Zeigeruhren. Die Schlagzahl einer Spiralfeder mit durchschnittlich drei Hertz, also rund 21.600 Amplituden pro Stunde, reicht sichtlich aus, um unser Leben zu steuern. Die 100 Hertz einer Quarzuhr sind vielen von uns zu schnell, zu seelenlos – und zu genau. Mechanische Uhren, möglichst mit vielen Funktionen, wurden zum Statussymbol. Im Gegensatz zum dicken Mercedes oder der Yacht sind sie immer dabei, immer herzeigbar und verleihen ihrem Träger jenen Status, den auch ein Multimilliardär mit einem hochpräzisen Quarzwecker nicht erreicht. Doch heute droht die nächste Zeit-Attacke. Eine ganze Industrie will uns schon wieder die Herrschaft über die Zeit entreißen. Smartwatches sollen die digitale Welt wieder auf unser linkes Handgelenk bringen. Doch diesmal ist der Angriff viel umfassender als in der Quarz-Ära. Heute wird unsere Zeit direkt mit der digitalen Welt verbunden. Am Handgelenk ist dann nicht nur die Uhrzeit, sondern jedes EMail, jede Kurznachricht, unser Blutdruck und der Ticker der Nachrichtenagentur unseres Vertrauens ablesbar. Jederzeit, 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche, 52 Wochen im Jahr.
Constant Girard – der Visionär
1852-1900
Constant Girard wurde 1825 in der Stadt in den Neuenburger Bergen geboren und gründete 1852 das Unternehmen Girard & Cie. Zwei Jahre später heiratete er Marie Perregaux (1831-1912), die aus einer bedeutenden Familie von Uhrenhändlern in Le Locle stammte. Die Manufaktur Girard-Perregaux entstand 1856 in La Chaux-de-Fonds aus dem Zusammenschluss der beiden Namen. Constant Girard-Perregaux brillierte vor allem mit seinen Weiterentwicklungen im Bereich der Hemmung, insbesondere der Tourbillons. Dank ihrer Qualität und Schönheit erhielten seine Kreationen zahlreiche Auszeichnungen bei nationalen und internationalen Wettbewerben sowie bei Weltausstellungen. 1867 präsentierte er ein Tourbillon, das bei der Weltausstellung in Paris einen Preis errang. Der Höhepunkt folgte 1889, ebenfalls bei der Weltausstellung in Paris, als Girard-Perregaux mit einer Goldmedaille für sein berühmtes Tourbillon mit drei Goldbrücken ausgezeichnet wurde. Diese Kreation wurde zum heute unverkennbaren Motiv des Hauses. Constant Girard-Perregaux war ein echter Visionär. 1880 konzipierte er im Auftrag des deutschen Kaisers Wilhelm I. Armbanduhren für die deutschen Marineoffiziere. Um das Glas vor Stößen zu schützen, bedeckte er es mit einem Gitter. Insgesamt stellte er 2000 diese Modelle her, was als die erste bedeutende Serienherstellung von Armbanduhren in die Geschichte einging. Dennoch wurde diese damals revolutionäre Idee, eine Uhr am Handgelenk zu tragen, zunächst nicht weiterverfolgt. Erst zu Beginn des folgenden Jahrhunderts setzte sich die Armbanduhr durch und wurde zu dem großen Erfolg, der bis heute anhält.
Wollen wir das wirklich?
Ich lasse diese neue Zeit nicht an mein linkes Handgelenk und bleibe bei meiner analogen Uhr mit Ziffernblatt und Zeigern. Und manchmal werde ich einfach vergessen, sie an mein Handgelenk zu schnallen – damit ich wieder mehr Zeit für mich habe.
„Zeit ist das Element, in dem wir existieren. Wir werden entweder von ihr dahingetragen oder ertrinken in ihr.“
80 Patente eröffnen neue Horizonte
Als echte Manufaktur konnte Girard-Perregaux eine Pionierrolle beim Schutz des geistigen Eigentums spielen. Fast 80 Patente wurden innerhalb eines Jahrhunderts angemeldet, für ganze Werke oder Werkteile, aber auch für Ausstattungselemente wie Gehäuse oder Armbänder. Girard-Perregaux bemühte sich schon um den Schutz der eigenen Erfindungen, als man in der Schweiz von Urheberrechten noch gar nicht redete. Bereits am 25. März 1884 ließ die Marke das inzwischen berühmte Tourbillonwerk mit den drei pfeilförmigen Goldbrücken beim United States Patent Office für das amerikanische Staatsgebiet durch ein Patent schützen. Hier einige Beispiele von Patenten für Erfindungen der Forscher von Girard-Perregaux: 1933 präsentierten sie ein geniales System von Wechselarmbändern. 1942, zu einer Zeit, als Taschenrechner, wie wir sie heute kennen, noch Utopie waren, entstand eine Uhr mit integriertem Rechenschieber. Vier Jahre später erhielt eine Uhr zur Anzeige mehrerer Zeitzonen ein Patent. 1949 war es eine Armbanduhr mit Wecker, in deren Gehäuse sich ein Verstärker für den Weckton befand. 1965 war das Hochfrequenzwerk an der Reihe, der berühmte Schnellschwinger mit 36.000 Halbschwingungen in der Stunde, für viele noch heute die letzte wirklich nützliche Perfektionierung der mechanischen Uhr. 1970 stellte Girard-Perregaux die erste industriell in der Schweiz gefertigte Quarzuhr vor. Sie war auch die Erste weltweit, deren Quarz eine Schwingfrequenz von 32 768 Hertz aufwies, heute der Standard aller Fabrikate. Und in der jüngeren Vergangenheit, zwischen 1985 und 1997, wurde ein ewiger Kalender vorgestellt und perfektioniert. Der zeigte nicht nur automatisch die unterschiedlichen Monatslängen an, auch in den Schaltjahren, sondern lieferte auch auf Armbanduhren eher ungewöhnliche Informationen wie die Zeichen des Tierkreises, die Jahreszeiten oder auch Sonnenwenden und Tag- und Nachtgleichen. 2001 schließlich wurde ein Säulenrad- Chronografenwerk zum Patent angemeldet, dessen Abmessungen auch die Verwendung in Damenuhren erlaubten. Die zahllosen Neuheiten, die Girard- Perregaux in den letzten Jahren vorstellte, bezeugen diesen unablässigen Geist der Innovation. Und diese lange Tradition der Erfindungen ist längst nicht zu Ende. Aktuell arbeitet die Forschungs- und Entwicklungsabteilung an einem wichtigen Projekt zur Chronometrie.