Leben Reisen

Das Geheimnis des Goldenen Kindes

Erstmals seit ihrer Entdeckung vor 93 Jahren wird die prächtige Grabkammer des Pharaonenkönigs Tutanchamun originalgetreu nachgestellt.
Claudia Piller-Kornherr

„Ich sehe wunderbare Dinge!“ Diesen Satz flüsterte Howard Carter seinen Ausgrabungskollegen zu, als er im November 1922, das unversehrte Grab des Pharaonenkönigs Tutenchamun im ägyptischen Tal der Könige öffnete. Die Suche nach der Grabstätte war für den Briten, der nie ein Architekturstudium absolviert hatte, zur Raison d’Être geworden. Mehr als 30 Jahre hatte der von Ehrgeiz getriebene Carter nach einem Weg in dieses Reich der Toten gesucht, bevor der Fels im westlichen Theben am Rande der Wüste sein Geheimnis freigab. Ein Sensationsfund, dessen Strahlkraft bis heute andauert.

  • Originalgetreue Inszenierung der Vorkammer von Tutenchamuns Grab. Genau dieser Anblick bot sich Howard Carper, als er 1922 die Grabkammer öffnet.

Der Moment der Entdeckung

Fast ein Jahrhundert später gibt nun eine bemerkenswerte Ausstellung Kunde über den wohl bedeutendsten archäologischen Fund des 20. Jahrhunderts. Das Ausstellungskonzept von Tutanchamum – Sein Grab und seine Schätze basiert auf einer Besonderheit: dem Vermächtnis des Ausgräbers. Den akribischen Tagebuchaufzeichnungen Howard Carters ist es geschuldet, dass wir eintauchen in eine unbekannte Welt voll Magie und Mysterium. Der Schatz im Moment seiner Entdeckung ist ein Anblick, wie ihn außer Carter und seinen Mitarbeitern nur wenige Menschen gewährt bekamen.

Zehn Jahre lang, von der ersten Bestandsaufnahme bis zur Überführung des letzten Fundstücks ins Museum, hat zudem der Fotograf Harry Burton die Arbeiten im Grab von Tutanchamun lückenlos dokumentiert. Erst seine fantastischen Bilder haben dem Pharao wirklich Unsterblichkeit verliehen. Das Metropolitan Museum hatte Burton als Grabungsfotograf zur Verfügung gestellt, er war „Carters Auge und Gedächtnis“. Unermüdlich pendelte er mit seiner riesigen Kamera und den unhandlichen Negativplatten zwischen der Fundstätte, seinem Labor und seiner behelfsmäßigen Dunkelkammer im benachbarten Grab. Das Ergebnis seiner Arbeit sind 2800 großformatige Glasnegative, die sämtliche Fundobjekte, ihre Lage im Grab sowie jeden einzelnen Arbeitsschritt der Ausgräber lückenlos und mit höchster Präzision dokumentieren. Die Bilder geben den Ausstellungskuratoren zusätzlich ein einzigartiges Drehbuch in die Hand.

Gold, wohin das Auge blickt

Als Carter die Felswand zur Grabkammer durchbricht, fällt zum ersten Mal seit 3000 Jahren wieder Licht auf die unsagbar wertvollen Schätze, die man Tutenchamun mit auf seine letzte Reise gegeben hatte. Später wird der Forscher in sein Tagebuch schreiben „Es dauerte einen Moment, bevor ich etwas entdecken konnte. Dann tauchten aus dem Nebel langsam Einzelheiten auf. Seltsame Tiere, Statuen, Gold – überall glänzendes, schimmerndes Gold.“ Als stumme Zeugen einer großen Epoche nehmen uns die prächtigen Grabschätze mit auf eine Reise ins Reich der Pharaonen. Eine Reise voller Mystik und offener Fragen. In Gedanken betreten wir mit Carter bangen Schrittes die uralte Grabstätte. Die Illusion ist perfekt.

Drei Grabkammern öffnen sich nacheinander dem Blick des Ausstellungsbesuchers, exakt so, wie sie ihr Entdecker gesehen hat: Die schwarzen Wächterfiguren stehen wie einst vor der Sargkammer. In der Schatzkammer bewacht der Schakal auf der Truhe den Kanopen-Schrein genau wie vor 3.300 Jahren.

In einem zweiten Ausstellungsraum machen uns mit Schätzen gefüllte Kisten und Truhen des unheimlichen Reichtums der Pharaonen gewahr. In einem weltweit einmaligen Umfang wurden originalgetreue Nachbildungen zahlloser Preziosen, Geschmeide, Amulette und goldener Figuren geschaffen. Der im Grab verbliebene Quarzitsarkophag ist als täuschend echt wirkende Nachbildung ebenso zu sehen wie die Schreine, deren Originale sich im Ägyptischen Museum in Kairo befinden. Beeindruckend sind auch Replikate der in kleinen Schreinen verborgenen vergoldeten Götterfiguren, der Goldschmuck der Mumie sowie der im Grab zerlegte goldene Streitwagen, der hier vollständig zusammengebaut präsentiert wird. Auch die weltberühmte goldene Totenmaske, die Tutanchamun den Beinamen das Goldene Kind einbrachte.

Die unsagbaren Schätze, inmitten derer der Sarkophag mit dem mumifizierten Körper Tutenchamuns steht, machen den Totenkult um die ägyptischen Könige greifbar. Der junge Pharao sollte auf seiner Reise in ein neues Leben auf nichts verzichten müssen. Mobiliarstücke, Handschuhe, Pfeile, Hocker, Truhen, Parfumdosen, ein Streitwagen und die weltberühmte Totenmaske mit der Kobrakrone – insgesamt mehr als 5000 Objekte türmen sich auf engstem Raum in der kleinen Kammer. Auf den Sarkophagen liegen sogar Lotosblumen und Nachtschattenbeeren – in der versiegelten Grabkammer waren sie Jahrtausende lang konserviert. In prachtvolle winzige Särge gebettet, die kleinen Körper von zwei frühgeborenen Föten – Tutanchamuns Töchter. Rund 1000 der Grabbeigaben wurden für die Ausstellung von ägyptischen Kunsthandwerkern detailgetreu nachgebildet – sie sind in ihrer größtmöglichen Vollständigkeit weltweit einmalig.

Ein Kind wird zum König

Schon von jeher erzeugte die große Hochkultur der Ägypter einen faszinierend Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann. Der Begriff dafür: Ägyptomanie. Besonders die Person Tutanchamuns befeuert nach wie vor die Neugier vieler. Es ist nicht viel, was wir über ihn wissen: Als sicher gilt, dass Tutanchamun der Sohn des Echnaton war, jenes Pharaos aus der 18. Dynastie, der die Vielgötterei abschaffte. DNA-Untersuchungen aus dem Jahr 2010 lassen vermuten, dass die Eltern Tutanchamuns Geschwister waren. Echnaton hatte den Sonnengott Ra zum Herrscher über alle anderen Götter und sich selbst zum Hohepriester erhoben. Mit seiner Frau, der sagenumwobenen Nofretete ließ er die prächtige Residenzstadt Achetaton errichten. Echnatons Sohn, der ursprünglich Tutanchaton, (“lebendiges Abbild des Aton”) hieß, wurde bereits mit neuen Jahren zum Thronfolger erhoben. Zwei Jahre nach Beginn seiner Herrschaft änderte der Kindpharao seinen Namen in Tutanchamun („Lebendiges Abbild des Amun“) und heiratete seine Halbschwester Anchesenamun. Seine Regentschaft (1332 bis 1323 v. Chr.) scheint indes nur wenig prägend für Ägypten gewesen zu sein.

Um den frühen Tod des jungen Pharao mit nur 19 Jahren rankten sich lange zahlreiche Mythen. War es ein Mordkomplott? Malaria? Oder litt Tutanchamun aufgrund seiner inzestuösen Herkunft an einer Behinderung und einem schwachen Immunsystem? Mehr als 3300 Jahre nach dem Tod des jugendlichen Herrschers dürfte auch dieses das Rätsel mit Hilfe von Inspektor DNA gelöst worden sein. Das Ergebnis: Der junge Pharao scheint tatsächlich unter einem Handicap gelitten zu haben, dafür sprechen auch die vielen Stäbe und Krücken, die man in der Grabkammer gefunden hatte. Schließlich habe ihn ein schlecht verheilter Knochenbruch zusammen mit einer schweren Malaria im Jahr 1324 v. Chr. das Leben gekostet.

Der Fluch des Pharao

Howard Carter will beim Betreten der Grabkammer eine Tafel mit geheimnisvollen Hieroglyphen gefunden haben. Die Nachricht darauf: “Der Tod soll den mit seinen Schwingen erschlagen, der die Ruhe des Pharao stört!” Glaubt man den Gerüchten, habe sich am Tage, als Carter den Sarkophag Tutenchamuns öffnete, eine Kobra, die als Beschützerin der Pharaonen gilt, in Carters Haus geschlängelt und dessen Kanarienvogel getötet haben. Carters Financier, der britische Millionär Lord Carnarvon stirbt wenige Monate danach an einer mysteriösen Lungenkrankheit, ebenso wie einige Mitarbeiter und Touristen. Jeder Tod gibt der Legende Nahrung. Der angebliche Fluch des Pharao – ein Mythos, der niemals verstummt ist. Und auch heute noch geben der Goldene Junge und seine Grabkammer der Wissenschaft Rätsel auf.


Die Faszination geht auf Tournee

Tutanchamum – Sein Grab und seine Schätze ist eine der größten Tourneeausstellungen unserer Zeit. Seit der Premiere in Zürich im Frühjahr 2008 haben über sechs Millionen Besucher die Ausstellung in ganz Europa gesehen, unter anderem in Hamburg, Köln, Madrid, Budapest, Paris, Brüssel und Dresden. Die Präsentation von Repliken basiert im selben Maß auf wissenschaftlicher Sorgfalt wie die Arbeit im musealen Bereich. Die Nutzung von Nachbildungen gewinnt zunehmend an Bedeutung, da aus konservatorischen Gründen in klassischen Museumsausstellungen in einigen Bereichen kaum mehr Originale eingesetzt werden können. Die Objekte für die Ausstellung wurden in Ägypten von einheimischen Künstlern in enger Zusammenarbeit mit Ägyptologen hergestellt – wie zu Zeiten der Pharaonen in qualitätsvoller Handarbeit.

Beim Einsatz von Materialien war es nötig Kompromisse einzugehen: So konnte etwa die Replik des 110 Kilogramm schweren inneren Goldsargs nicht wie das Original aus massivem Gold hergestellt werden. Dies gilt auch für die Maske, einige Schmuckstücke und weitere Objekte, die ursprünglich aus massivem Gold bestanden: Ihre prunkvoll wirkenden Nachbildungen wurden aus Kupfer gefertigt, das durch ein Elektrolyse-Verfahren mit Gold beschichtet wurde.

Goldmaske des Pharaos Tutanchamun
Kanopenschrein: Ein Highlight der Ausstellung: Der vergoldete Kanopenschrein, der die mumifizierten Eingeweide Tutenchamuns enthielt.
Streitwagen
Tausende von Touristen finden jährlich den Weg ins Das Tal der Könige.
Göttin Sachmet: Darstellung der Löwengöttin Sachmet. Im alten Ägypten galt sie als Göttin des Krieges, diente aber auch dem Schutzes vor Krankheiten und der Heilung.
Detail der Goldmaske des Pharaos Tutanchamun - Foto A.-M. v. Sarosdy - Rechte Semmel Concerts GmbH - Abdruck honorarfrei
Die unsagbaren Schätze, inmitten derer der Sarkophag mit dem mumifizierten Körper Tutenchamuns steht, machen den Totenkult um die ägyptischen Könige greifbar.
  • Kobra
  • Minisärge
  • Götterfiguren: 1.000 Exponate wurden in sorgfältiger Kleinarbeit von Künstlerhand erschaffen, darunter diese prunkvollen Götterfiguren.